Wenn Musik zu mehr als einem Ausgleich wird

Hagenwil Jazzig, soulig, poppig – dies wäre wohl ein passender Kurzbeschrieb für die Musik von Selina Schildknecht. Die 23-Jährige ist eine klassische Singer & Songwriterin. Sie macht Musik, die sich auf das Wesentliche konzentriert – Gitarre und Stimme. Normalerweise. Denn für ihr erstes Album hat sie sich Grosses vorgenommen: «Ich wollte mehr Power in die Songs bringen. Darum habe ich für mein erstes Album eine Band organisiert.»

Mit dieser Band – bestehend aus Doran Weisser an der E-Gitarre,Dionys Müller an den Drums, Benjamin Bruderer an der Bass-Gitarre und Moreno Knöpfel am E-Piano – habe sie innerhalb einer Woche die zehn Songs im Studio von «Lowcutproduction» in Romanshorn eingespielt. Die Erfahrung, mit Produzent Jerome Longhi und vier Vollblutmusikern zu arbeiten, sei einmalig gewesen, erzählt die Hagenwilerin: «Die Musik hat gesprochen, sie war die Verbindung. Ich bin wieder richtig aufgeblüht mit fünf bodenständigen, unkomplizierten Jungs im Studio.»

Musik anstatt Sport

Dass die Möglichkeit für ein «Wieder-Aufblühen» überhaupt gegeben war, tönt für eine Frohnatur, wie es Selina Schildknecht eine ist, im ersten Moment widersprüchlich. «Ich hatte eine wunderschöne Kindheit. Denn ich bin mit zwei Schwestern in einem super Elternhaus hier im schönen Hagenwil aufgewachsen», erzählt sie. Dieses Idyll auf dem Land wie aus einem Bilderbuch scheint für Selina Schildknecht lange eine Realität gewesen zu sein. Bis zu dem Zeitpunkt, als sie sich beim Ausüben ihrer Leidenschaft eine Verletzung zuzog. «Ich habe mich beim Sport treiben verletzt und hatte deswegen in den letzten Jahren sechs Knieoperationen. Zuerst war es nur das Kreuzband, doch danach gab es Komplikationen», erklärt sie.

Diese Verletzung habe dazu geführt, dass sie seit dem Jahr 2021 dreimal längere Perioden zu Hause verbringen musste. Obwohl sie immer noch in ihrem Elternhaus wohnt, sei es eine schwierige Zeit gewesen, in der sie sich viel allein gefühlt habe. Eine solche Zeit, alleine zu Hause, mit einem Knie, das nicht so will, wie von ihm erwartet, wäre für jeden jungen Menschen eine Herausforderung gewesen. Denn wer zu viel Zeit in seinem eigenen Kopf verbringt, der wird mit Sicherheit auf Dinge stossen, die besser sein könnten. «Die Situation zwang mich förmlich dazu, mehr Musik zu machen. Denn ich kann singen und Gitarre spielen, auch wenn mein Knie nicht funktioniert», erzählt Selina Schildknecht und fügt hinzu: «Ich habe das Beste aus der Situation gemacht. Denn mit der Musik hatte ich eine Aufgabe, für die ich mich motivieren konnte.»

Und so kam es, dass die 23-Jährige in der Musik nicht nur den Ausgleich fand, den ihr früher der Sport gab, sondern viel mehr: «Eigene Songs zu schreiben, ist wie Meditation. Du fühlst etwas und bringst es in eine Ordnung, wenn du es niederschreibst.» Doch nicht nur der Prozess, der einem neuen Song vorangeht, habe einen grossen Einfluss auf ihr inneres Wohlbefinden, sondern auch das Singen selbst. Denn obwohl sie ein Kopfmensch sei, habe sie während des Singens keine Gedanken: «Musik ist eine Tätigkeit, bei welcher ich wie in einer Trance bin und die Zeit total vergesse.»

Musik mit Tiefe

Dieses Kapitel in Selina Schildknechts jüngerer Vergangenheit ist wohl auch einer der Gründe, wieso die neuen Songs von ihr solch eine Tiefe haben und so authentisch klingen. Denn in vielen verarbeitet sie ihre eigenen Erlebnisse: «Mein Album ist ganz klar ein Konzeptalbum. Jeder Song hat seine Geschichte und seinen Platz.» Diese persönliche Komponente ihrer Songs ist auch der Grund, wieso SelinaSchildknecht ihre Lieder auf Englisch schreibt und singt: «Englisch passt besser zu den Melodien. Und es schafft eine gewisse Distanz, da die Songs doch sehr persönlich sind.»

Dass es Selina Schildknecht wirklich um die Musik geht, merkt man sehr schnell, wenn man mit ihr über ihre Leidenschaft spricht. Denn was zählt, ist, was ihr die Musik gibt und was sie durch sie teilen kann: «Ich hatte keine Ahnung vom Musik-Business, wusste nicht einmal den Unterschied von einer EP zu einer LP. Ich habe mich auch nie bewusst für die Musik entschieden, sondern da war einfach immer ein Feuer, das ich in mir spürte.»

Musik in der Kinderstube

Schon in der Kindheit habe sie Freude an der Musik gehabt, sei von ihrem musikalischen, multiinstrumentalen Vater inspiriert worden, das Gitarrespielen zu erlernen. Doch erst als in der ersten Oberstufe die Sängerin der Schülerband ausgefallen ist, habe sie ihre Stimme entdeckt: «Mein Lehrer hat mich damals herausgefordert, es aus mir herausgekitzelt. Ab dann war ich die Sängerin der Band.»

Ihren ersten grossen Auftritt hatte Selina Schildknecht an der WEGA 2016. Obwohl sie doch sehr nervös vor diesem Auftritt gewesen sei, habe sie das Erlebnis geniessen können: «Wenn ich anfange zu singen, dann verfliegt das Lampenfieber. Und je mehr du singst, desto besser wirst du.» So habe sie in den vielen Auftritten seither auch gelernt, was Bühnenpräsenz ist und wie man ein Gefühl fürs Publikum kriege.

Auch jetzt laufe es gut, sie habe viele gebuchte Auftritte für Hochzeiten und Firmenanlässe – sowohl solo, als auch mit «ihrer» Band. Ab und zu sei es jedoch fast zu viel, gesteht sie: «Ich komme manchmal schon an meine Grenzen. Doch ich war schon als Kleine immer sehr hartnäckig.»

Auch finanziell sei das Stemmen der

Kosten für ein Album nicht einfach gewesen, doch sie habe Unterstützung durch ein Crowdfunding erhalten und lebe seit einer Weile einfach bescheiden: «Ich bin noch bis nächstes Jahr in der Ausbildung zur

Fachfrau Pflege und habe daher nur einen Studentenlohn. Trotzdem habe ich in letzter Zeit richtig gespart.» Und in einer solch intensiven Zeit helfe es natürlich auch, dass sie fürs Leben gerne in der Pflege arbeite und sie ihre Familie und ihren Glauben als ständige Kraftquellen habe.

Mehr Musik kommt bald

Nach dem Release ihres vierten Songs «Break», ist nun der grosse Moment gekommen: Selina Schildknecht veröffentlicht morgen Freitag, den 22. September, ihr erstes Album.

Dass ihre ersten vier Songs die Erwartungen an dieses Album gehoben haben, ist unbestreitbar. Insbesondere «Mess of life» ist ein Musikstück, das ganz klar ins Genre «Gutfühl-Musik» gehört. Es ist Musik, die Selina Schildknecht bestens verkörpert – authentisch, mit Herz, vom Herzen. Und darum verwundert es auch nicht, dass das Herz ein wesentlicher Teil der Botschaft ihrer Musik ist: «Ich will Menschen berühren. Denn die Liebe ist da – man muss nur mit ihr sein.»

Und genau darum werden wohl auch die restlichen Songs des Albums zeigen, was die Musik der jungen Singer & Songwriterin so speziell macht: Dass auch eine Frohnatur Tiefe haben darf.

Von David A. Giger

www.selinaschildknecht.com