23.02.2023 16:04
Die Kirche bleibt im Dorf
Wer in letzter Zeit online auf der Suche nach einem neuen Heim in der Region war, der machte wohl auch bei einem bestimmten Verkaufsangebot grosse Augen. Denn im Inserat von Fleischmann Immobilien wird doch tatsächlich eine Kirche an bester Lage angeboten.
Amriswil Um eines gleich vorweg zu nehmen: Die zum Verkauf stehende Kirche ist keine wirkliche Kirche mehr, sondern ein Kirchgemeindehaus. Aussehen tut sie mit ihrem Kirchenschiff und Kirchenturm trotzdem wie eine Kirche. Und wer einen Blick auf die Webseite der evangelischen Kirchgemeinde Amriswil wirft, der erfährt dort, dass dies nicht ohne Grund so ist. Denn das Kirchgemeindehaus diente in der Vergangenheit nicht nur als Kapelle: «Diese Kapelle, erbaut ca. 1350, hat sich dann im Laufe der Zeit zur evangelischen Kirche von Amriswil entwickelt.»
Das Verkaufsinserat von der Fleischmann Immobilien AG tönt sehr verlockend: «Kirchgemeindehaus mit vielseitigem Nutzungspotenzial mitten im Zentrum», direkt gegenüber des Pentoramas, mit einer Grundstücksfläche von 3'228 m² zu einem Verkaufsrichtpreis von einer Million Franken, steht dort geschrieben. Und weiter heisst es, dass nicht nur die «grosszügige Rasenfläche im Schatten der Bäume» viel Spielraum für Aktivitäten biete, sondern auch der südseitige Anbau und das Kirchenschiff «mit Empore und integrierter Bühne» vielseitig genutzt werden könnten: «Sei dies für Konzerte und Ausstellungen jeglicher Art, für Seminare, als Atelier oder für private Anlässe.»
Dieses riesige Grundstück an bester Lage in Amriswil, das eine Vielzahl von Nutzungsmöglichkeiten hat, ist also für knapp 310 Franken proQuadratmeter zu haben. Wo ist der Haken?
Unter Denkmalschutz
Dass auf der grossen Parzelle im Zentrum von Amriswil bald ein Wohnblock oder ein Einkaufszentrum steht, ist ausgeschlossen. Denn das Amt für Denkmalpflege stuft das evangelische Kirchgemeindehaus als «besonders wertvoll» ein. Beschrieben wird das Gebäude im Register der Denkmalpflege wie folgt: «Schnörkelloser steilgiebliger Verputzbau mit vier hohen Rundbogenfenstern an der Nordtrauffront; der westseitig vorgelagerte, sparsam befensterte Turm mit Käsbisse und flachbogigen Schallöffnungen.»
Obwohl der 18 Meter hohe Turm erst bei der zweiten Erweiterung des Gebäudes im Jahr 1826 erbaut wurde, steht er also ebenfalls unter Schutz. Genauso wie einige Bäume, die sich auf dem Grundstück befinden.
Dass sich an der Nettowohnfläche von 467 m² etwas ändern wird, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber eher unwahrscheinlich. Denn auch unter dem südseitigen Anbau wartet eine Überraschung in Form einer Trafostation der Technischen Betriebe Amriswil auf die künftigen Besitzer. Diese verunmöglicht einen Umbau nicht, macht ihn aber mit Gewissheit nicht einfacher.
Der verwendete Begriff «Wohnfläche» hat aber durchaus seine Berechtigung, wie den Verkaufsunterlagen des Kirchgemeindehauses zu entnehmen ist: «Unter der Berücksichtigung der vorhandenen Schutzeinstufung der Kirche wäre auch eine Umnutzung zu Wohneinheiten denkbar.»
Nicht die erste Umnutzung
Da sich bereits mehrere Interessenten für das Objekt gemeldet haben, ist der Verkaufsprozess schon fortgeschritten. Es darf darum mit Spannung erwartet werden, was für eine Nutzung die künftigen Eigentümer für das Kirchgemeindehaus vorgesehen haben. Dass es nicht die erste «Zweckentfremdung» des Gebäudes wäre, ist ebenfalls der Webseite der evangelischen Kirchgemeinde zu entnehmen. Dort heisst es, dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts das Kirchgemeindehaus von der Gemeinde Amriswil übernommen wurde und dann «Konzerthalle» genannt wurde. «Diese 'Zweckentfremdung' wurde in den 1930er-Jahren beendet, als die ehemalige Kirche wieder in den Besitz der Kirchgemeinde wechselte und fortan als Kirchgemeindehaus seine Bestimmung fand», heisst es weiter.
Genau wie der jetzige Verkauf stand auch die damalige Veräusserung mit dem Neubau einer Liegenschaft der evangelischen Kirchgemeinde in Zusammenhang. Wurde im Jahr 1892 die neue evangelische Kirche eingeweiht, war es im jetzigen Fall die Zustimmung zum Baukredit des neuen Kirchenzentrums, welche die Kirchgemeinde zum Verkauf veranlasste.
Dass durch die Zweckentfremdung bald etwas Sündhaftes ins Kirchgemeindehaus Einzug hält, ist jedoch ausgeschlossen. Denn das letzte Wort beim Verkauf hat die evangelische Kirche. Somit ist die Eingabe des höchsten Gebots beim Bieterverfahren noch lange keine Garantie für den Zuschlag. Denn in den Verkaufsunterlagen heisst es diesbezüglich ganz klar: «Die Eigentümerschaft behält sich das Recht vor, einen passenden Käufer vorzuziehen.»
Von David A. Giger