28.11.2024 09:39
Das einst beliebteste Hobby
Jassen ist viel mehr als das nationale Kartenspiel der Schweiz. Zumindest für viele ältere Jahrgänge ist Jassen noch heute eine beliebte Freizeitbeschäftigung, die das Gehirn trainiert, soziale Beziehungen pflegt und nicht zuletzt für spannende und nie gleiche Unterhaltung sorgt.
Winden Wer früher nicht Jassen konnte, der wurde vielerorts wie ein Ausgestossener behandelt. Keine Kenntnis vom unterhaltsamsten und am weitesten verbreiteten Langeweile-Töter zu haben, war aber nicht nur ein soziales Defizit, sondern auch eine nicht zu unterschätzende Bildungslücke. Aber die Zeiten haben sich geändert. Jasskarten gehören heute nicht einmal mehr im Militär zum Sackbefehl und mussten auch als beliebtestes Firmengeschenk ihren Platz räumen. Doch es gibt sie noch, die Bastionen, wo Jassen noch heute gross auftrumpft.
Aufgrund einer innigen Beziehung des Jassens mit dem Militär könnte man annehmen, dass vor allem Männer sich fürs Kartenspielen interessieren. In der Wirtschaft zum Klösterli in Winden ist dies für gewöhnlich nicht der Fall, verrät Wirt René Heierli: «Wir führen das Preis-Jassen seit gut einem Jahr durch. In der Regel hat es 16 bis 24 Spieler, wovon durchschnittlich zwei Drittel Frauen sind.» Woran es lag, dass diese Regel am vergangenen Samstag, 23. November, gleich doppelt gebrochen wurde, es nur 12 Jasser hatte und davon eine Mehrheit männlich war, könne nur spekuliert werden, meinte ein Teilnehmer: «Ich vermute, es ist das Wetter! Es hat einfach zu viel Schnee auf den Strassen.»
Jassen braucht Gesellschaft
Organisiert wird das Preis-Jassen in der Wirtschaft zum Klösterli vonVreni Bamert. Genauso wie viele andere Jass-Veranstaltungen in der Region. «Ich habe vor 30 Jahren, als die 'Goofe' durch waren, mit dem Durchführen von Jass-Turnieren angefangen. Mittlerweile organisiere ich 11 Turniere im Monat.» Denn nicht nur im Klösterli in Winden werde regelmässig gejasst, sondern auch im «Landhaus» in Romanshorn, im «Weiher» in Arbon, im Tenniscenter in Egnach und in diversen anderen Lokalitäten in der ganzen Ostschweiz.
Jassen war für Vreni Bamert immer eine Möglichkeit, die Welt ein wenig zu sich zu holen. Eine Fehlstellung der Füsse habe sie schon immer daran gehindert, weite Wege zu gehen: «Ich jasse unheimlich gern und ich bin gerne unter Leuten. Beides gibt mir mental so viel zurück.»
Diese Dankbarkeit gegenüber dem Jassen bleibt nicht unerwidert, denn Vreni Bamert geht nicht nur herzlich mit allen Jassern am Turnier um, sondern pflegt auch ausserhalb mit vielen ein freundschaftliches Verhältnis. Obwohl sie viel mehr als nur die Organisatorin des Jass-Turniers ist, kommt ihr dennoch auch die Rolle des «Tätschmeisters» zu. In zwei Aktenkoffer hat sie alle nötigen Jass-Utensilien fein säuberlich organisiert, so dass einem reibungslosen Ablauf nichts im Wege steht. «Es wird mit Obenabe und Undenufe gejasst, alles zählt einfach und es gibt keine extra 100 Punkte für einen Match. Und der Partner des Jassers, der ansagt, darf die Karten erst aufnehmen, wenn bereits angesagt oder zu ihm geschoben wurde», informiert Vreni Bamert dem Autor dieser Zeilen vor Beginn des Turniers. Denn alle anderen sind alte Hasen, die nicht nur die Regeln von Vreni Bamerts Jass-Turnieren auswendig kennen, sondern auch die Gründe für dessen Anwendung. «Die Karten des 'Ansagers' bleiben auf dem Teppich, damit niemand auf die Idee kommt, miteinander zu füsseln oder andere Zeichen zu machen», weiss eine der Teilnehmerinnen. Und sie ergänzt auch sogleich, dass es eigentlich noch viel strengere Regeln gebe, man diese jedoch hier im Klösterli etwas entspannter sehe: «Man dürfte eigentlich nicht einmal mehr sagen, was Trumpf ist, wenn es jemand vergessen hat.»
Es braucht Können und Glück
Um etwas tiefer in die Welt von Jassturnieren einzutauchen, wird von verschiedener Seite auf den Profijasser «Ferdi» verwiesen. Dieser hört die Empfehlung mit und ist überhaupt nicht einverstanden mit seiner Benennung: «Im Jassen gibt es keine Profis! Jassen ist nur ein Hobby.» Trotzdem ist Ferdi bereit, ein paar Einsichten mit dem Neuen im Bunde zu teilen: «Man kann eigentlich nur wenige Grundsätze im Jassen nennen, denn das meiste ist situationsbedingt. Einmal ist die Entscheidung richtig, beim nächsten Mal ist die gleiche Entscheidung falsch.» Gutes Jassen sei zudem nur ein Faktor von vielen, der über den Erfolg entscheide. Genauso wichtig – wenn nicht gar wichtiger – seien Los-, Partner- und Kartenglück, sowie die Tagesform und Konstellation der Karten: «Das macht Jassen auch so spannend. Denn kein Jass ist wie ein anderer, du erlebst nie zweimal das Gleiche!»
Ferdi ist das beste Beispiel dafür, dass viele Jasser auch «Jasstisch Philosophen» sind. Denn es gehört einfach zum Jassen dazu, dass während des Mischens über das vergangene Spiel geredet und spekuliert wird. Man tauscht sich aus, fragt den Partner über die allfälligen Erfolgschancen einer anderen Taktik aus und flucht gelegentlich auch über die erhaltene Hand. «Was will man anderes machen, wenn man das Ass zu fünft von dieser Scheiss-Schilte hat?», meint einer der Teilnehmer nach einer Runde, die komplett in die Hose ging.
Trotz dieser vereinzelten Ausrufe von einigen Vieljassern, wird im Klösterli viel grösseren Wert auf die Unterhaltung gelegt als andernorts, verrät Wirt René Heierli: «Bei uns steht immer das Jassen im Vordergrund. Hier wird niemand wütend, wenn man einmal einen Fehler macht.»
Nächste Möglichkeit, sich selbst von dieser Tatsache zu überzeugen, bietet sich am Samstag, 21. Dezember. Wie viele Jasser dann im Klösterli am Turnier teilnehmen werden, steht in den Sternen. Dass es wieder ein geselliger und unterhaltsamer Nachmittag werden wird, steht hingegen ausser Frage.
Von David A. Giger